Stellungnahme des Karolinksa Instituts zur Digitalisierungsinitiative für das schwedische Schulsystem

Worum geht es?

Im April 2023 haben 5 Professor:innen des Schwedischen Karolinska Instituts eine Stellungnahme PDF-Dokument zur geplanten Digitalisierungsinitiative für das schwedische Schulsystem veröffentlicht, die einerseits zu einer Sistierung dieser Digitalisierungsinitiative geführt haben und andererseits u.a. im deutschsprachigen Raum häufiger als Begründung einer Kritik an einer Ausstattung von Schulen mit digitaler Infrastruktur zitiert wird.

Aus diesem Grund lohnt es sich, diese Stellungnahme des Karolinksa Instituts genauer anzuschauen.

Original und deutsche Übersetzung der Stellungnahme

1. Stellungnahme und keine Studie

Beim Dokument des Karolinska-Instituts handelt es sich gemäss Eigendeklaration um eine Stellungnahme und nicht - wie mancherorts zitiert - um seine Studie:

Es wird beschlossen, dass das Karolinska Institut die beigefügte Stellungnahme abgibt.

Die Autor:innen des Dokuments haben weder eigene Untersuchungen angestellt noch versuchen sie allgemeine Aussagen zu treffen.

Es ist somit irreführend, von einer Studie zu sprechen.

2. Stellungnahme zu konkretem Projekt

Die Stellungnahme des Karolinska Instituts enthält drei Kritikpunkte:

  1. Die positiven Effekte digitaler Medien in der Schule werden vom Bildungsministerium nicht evidenzbasiert begründet
  2. Das Bildungsministerium ignoriert die Forschungsergebnisse, welche negative Auswirkungen digitaler Medien auf den Wissenserwerb von Schüler:innen hat.
  3. Der Vorschlag des Bildungsministeriums enthält keine konkreten Umsetzungsschritte

Das Dokument kritisiert somit eine konkrete Initiative einer Bildungsbehörde mit konkreten Massnahmen in einem spezifischen Kontext.

Es ist somit problematisch, aus einer Stellungnahme zu konkreten Massnahmen in einem bestimmten Kontext allgemeingültige Aussagen für andere Kontexte ableiten zu wollen.

3. Selektive Auswahl und Interpretation von Studien

3.1 Selektive Studienauswahl und behauptete Eindeutigkeit der Studienlage

Die Stellungnahme zitiert altbekannte Studien, die teilweise aber auch umstritten sind (indem z.B. ihre Ergebnisse nicht repliziert werden konnten). Dazu gehören:

  • Mueller / Oppenheimer (2014). The Pen Is Mightier Than the Keyboard (Biblionetz:t17228)
    Für eine Besprechung siehe Studie 'The Pen Is Mightier Than the Keyboard' oder Biblionetz:t17228
     
  • Die Aussage "Für Grundschüler hat die OECD einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass ein hohes Maß an Computernutzung in Schulen eindeutig negativ mit den PISA-Ergebnissen in Mathematik und Lesen korreliert (OECD, 2015)." ist übervereinfachend: Bereits 2015 (Biblionetz:b06021), insbesondere aber auch in späteren PISA-Studien hat sich gezeigt, dass sowohl eine zu kleine als auch eine zu grosse Computernutzung sich negativ auf Schulleistungen auswirkt. Es besteht kein linearer Zusammenhang zwischen Computernutzung und Schulleistung.

Wenn die Autor:innen also schreiben: "Es ist erwähnenswert, dass mehrere der Studien, auf die wir uns beziehen, vor relativ langer Zeit veröffentlicht wurden und deren Ergebnisse inzwischen in neueren Studien bestätigt wurden." so ignorieren sie gewisse Forschungsergebnisse, zitieren damit selektiv und erwecken den falschen Eindruck der Eindeutigkeit der Studienlage.

Ähnlich muss auch die Aussage "Es gibt eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schüler eher beeinträchtigen als verbessern." kritisch hinterfragt werden.

3.2 Fragwürdige Interpretationen

Wenn die Autor:innen der Stellungnahme schreiben:

"In einer Studie wurde beispielsweise festgestellt, dass Studierende, die ihren Computer während einer Vorlesung angeschlossen hatten, bis zu 40 Prozent der Unterrichtszeit mit irrelevanten Dingen verbrachten, die nichts mit dem Unterricht zu tun hatten (Kraushaar & Novak, 2010)."

dann vergleichen sie eine Hochschulvorlesung mit (vermutlich über 50) erwachsenen Studierenden mit einer Schulstunde mit 15 - 25 Kindern. Dies zeugt entweder von einer seltsamen (oder fehlenden) Vorstellung wie sich eine Unterrichtsstunde von einer Hochschulvorlesung unterscheidet oder von einer sehr gewagten Ignoranz dieser Unterschiede (ganz abgesehen davon, dass aus der zitierten Studie nicht hervorgeht, ob die Studierenden 30 Jahre früher einfach Zeitung oder Comics gelesen hätten statt einen Computer als Ablenkung zu nutzen).

4. Keine Bildungs-Expert:innen

Die Stellungnahme wurde von folgenden fünf Personen verfasst:
  • Lisa Thorell, Professorin für Entwicklungspsychologie
  • Torkel Klingberg, Professor für Kognitive Neurowissenschaften
  • Agneta Herlitz, Professorin für Psychologie
  • Andreas Olsson, Professor für Psychologie
  • Ulrika Ådén, Professorin und Oberärztin für Neonatologie

Es ist bemerkenswert, dass niemand der Autor:innen einen erziehungswissenschaftlichen, pädagogischen oder didaktischen fachlichen Hintergrund aufweist.

Andere Einschätzungen zur Karolinska-Stellungnahme

Kontakt

  • Beat Döbeli Honegger
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